Trinidad Unser Hurricane Shelter
Wie wir Hurricane Beryl erleben und was er anrichtet. Das wahrscheinlich schwierigste, sowie prägendste Ereignis unserer Reise bisher.
Ankunft in Trinidad
Unsere Fahrt verläuft recht gut, wir helfen ein Bisschen mit dem Motor nach damit wir schneller dort sind. Sturmwarnungen sind schon raus, und ab spätem Nachmittag kann es vereinzelt Gewitter geben. Wir sind angespannt. Einige Segler haben gesagt, es habe keinen Platz mehr in Trinidad, die Buchten seien voll und sie würden keine neuen Segler mehr reinlassen. Wir halten das zwar für Unsinn, trotzdem sitzt es irgendwo im Hinterkopf. Dann kommt eine Nachricht via Funk von der Cost Guard: „To all ships seeking shelter in Trinidad, we welcome you in our waters and wish you safe passage.“ Das ist eine Erleichterung. Das Krisenmanagement in Trinidad ist ausgezeichnet, aber mehr dazu später.
Gegen Mitternacht des 31. Juni kommen wir in Chaguaramas, Trinidad an. Wir werfen den Anker neben zwei uns nicht unbekannten Booten: Nayru und Appa, ein Englisches und ein Belgisches Pärchen in unserem Alter. Zum letzten Mal in dieser Konstellation zusammen waren wir im Oktober 2023 in Gibralter, als wir dort die Herbststürme vor der Passage auf die Kanaren ausgesessen haben. Damals wie heute ist das Wetter der Grund unseres Zusammenseins, schon irgendwie witzig.
Am nächsten Morgen ist es so weit: Heute ist Hurricane Tag 🌀 Wir haben genug Platz zum schwingen und ordentlich Kette ausgelegt. Die Windstärken hier in Trinidad sollen 20kn nicht überschreiten, aber ich meine, das ist ein Hurricane, keine Ahnung was uns heute erwartet. Von den hiesigen Behörden kommt noch die Nachricht, dass alle Kosten für Zoll und Immigration vorübergehend erlassen werden. Weiter ist es erlaubt, komplett auf das Einklarieren zu verzichten, sofern man an Bord seines Schiffes bleibt und nach Verbesserung des Wetters das Land wieder verlässt. Für den etwas mühsamen Einklarierungsprozess steht kostenlose Hilfe zur Verfügung. Dieses Land empfängt uns in Zeiten der Not mit offenen Armen.
Lasst das mal kurz setzen.
Gegen 11 Uhr morgens geht es los. Der Wind kommt von Süden, Chaguaramas ist gegen Süden nicht sehr geschützt. Dementsprechend wird es schaukelig bei uns. Natürlich wollen wir mit unseren Freunden in Grenada in Kontakt bleiben. Wir sehen erste Videos von starkem Regen, fliegenden Dächern und Palmen. Das Auge der Sturms wird Carriacou treffen. Irgendwann muss ich aufhören, auf mein Handy zu schauen, denn es schaukelt ganz anständig und mir wird übel. So liege ich im Cockpit rum und starre stundenlang in den Himmel. Gegen Abend beruhigt sich die See etwas und wir sehen das Chaos, das Beryl angerichtet hat. Mit über 200km/h Windgeschwindigkeit hat er einige unserer geliebten Inseln komplett plattgemacht.
90% der Häuser auf Carriacou und Union Island wurden zerstört. Von heute auf morgen haben die Menschen dort alles, wirklich ALLES verloren. Wir sind schockiert und zerrissen. Tausend Gedanken kreisen in unseren Köpfen. Wir möchten helfen. Gleichzeitig haben wir aber einen Termin in Grenada in 4 Tagen um Cervino auszukranen. Wird das überhaut klappen? Sollen wir alles über den Haufen werfen, hoch zu den Inseln segeln und helfen? Aber wir wollen doch auch im August in die Schweiz fliegen, da muss das Boot ready und an einem sicheren Ort sein. Cervino für 5 Wochen in Grenada an der Boje zu lassen, wie es ursprünglich geplant war, scheint keine gute Idee mehr zu sein. Es ist schwierig in Worte zu fassen, was in uns vor geht. Jedenfalls geht es uns nicht gut und uns fällt ein wenig das Dach auf den Kopf. Wir streiten uns ständig, reden oft an einander vorbei, die Stimmung ist schlecht. Das Boot wirkt zum ersten Mal wie ein Käfig.
Operation Cruisers Aid
Wir merken, dass wir damit nicht alleine sind, und schliessen uns der „Operation Cruisers Aid“ an. Segler wie wir, die helfen wollen. Wir beginnen Spenden zu sammeln, gehen damit Einkaufen: Gummistiefel, Tarps, Solarlampen, Moskitonetze, Beile und Macheten. Wir beladen etliche Segelboote in Chaguaramas, die damit zu den Inseln in Not fahren. Wir geben unser Starlink einem Freund mit, der es nach Petit Martinique bringt. Die Mobilfunkmasten sind alle weg, somit sind die Menschen dort auch kommunikationsunfähig. Andere Segler bringen ihre Entsalzungsanlagen hoch, um Wasser für die Bewohner zu machen. Wir haben das Gefühl, wir können helfen, und das tut unseres Psyche gut.
Wie so oft müssen wir uns neu organisieren. Wir haben entschieden, erst mal hier in Trinidad zu bleiben um Operation Cruisers Aid weiter zu unterstützen. Dann werden wir Cervino hier an Land stellen und 3 Wochen Schiffsarbeiten erledigen, bevor wir in die Schweiz fliegen. Das Boot wird an Land stehen, während wir weg sind. Fühlt sich irgendwie sicherer an. 10 Schiffe hat es in der Prickly Bay in Grenada an Land gespült. Unseren Slot in der Werft in Grenada geben wir meiner Tauchschule, die auch einen Schaden an ihrem Boot hatte. Meine Ausbildung werde ich dann nach unserer Rückkehr weiterführen.
Nach ein paar Wochen hat sich der Initialshock ein Bisschen gelegt. Wir sind wieder völlig dem Wuselwahn verfallen und haken Schritt für Schritt unsere Projekte ab: Ruderlager ersetzen, ein paar Reparaturen im Cooper Coat, und diverses Kleinzeugs. Läuft eigentlich ganz gut, bis auf das Wetter 🤣 Memo an uns: Coppercoat streichen in der Regenzeit ist nicht sehr ratsam.
Damit wir von Trinidad noch etwas anderes sehen als die Werft machen wir noch einen Tagesausflug: A taste of Trini. In einer Gruppe von 10 Leuten werden wir in einem klimatisierten Büssli durch die Gegend chauffiert und mit typischen Trinidadischen Gerichten verköstigt. Insgesamt 54 verschiedene Speisen dürfen wir probieren. Jesse der Fahrer erzählt uns viel über seine Heimat und wir geniessen einen Tag Auszeit.
Nun freuen wir uns sehr auf einen Tapetenwechsel und auf unsere Familien und Freunde in der Schweiz. Erst werden wir ein paar Tage in London zu zweit geniessen, bevor es weiter geht. Mehr als ein Jahr ist es her, dass wir in der Heimat waren. Es ist Zeit, Adiö geliebte Cervino, wir sehen uns im September wieder!
In welchem Zustand die Cervino auf uns wartet, was ein Schnorcheltest ist und wie die Grenadinen nach dem Sturm wirklich aussehen?
Ihr werdet es bald erfahren.